Haus der Spiele
Ein paar Gedanken zur Malerei von Olivia Kaiser im Kontext der Ausstellung „Playhouse.“
Thomas Mießgang
Die Bilder von Olivia Kaiser sind nicht leicht zu lesen. Zum Beispiel „Playhouse“. Es ist auf den ersten Blick ein Zusammenspiel unterschiedlich kolorierter Farbfelder in markanten Tönen. Manche davon eher geradlinig eingezäunt, andere durch runde Formen in Schwingung versetzt und mit kinetischer Energie aufgeladen: Ultramarin, türkis, jadegrün, scharlachrot, magenta, goldgelb, kastanienbraun. Ein erheblicher Teil der Farbpalette wird aufgeboten, um eine abstrakte Komposition als visuelle Polyphonie zu inszenieren. Doch ein genaueres Hinsehen enthüllt weitere Dimensionen; die Art und Weise wie die Farbe aufgetragen wurde, der variationsreiche Pinselduktus evoziert eine Tiefenstaffelung, die den betrachtenden Blick perspektivisch, wenn schon nicht ins Unendliche, so doch in weite Fernen zu leiten scheint. Und das Zusammenwirken der Colourfields vollzieht sich oft so unmoduliert/ unmoderiert, dass der Eindruck von Cut-up oder einer Art Collage entsteht. Viele Bilder scheinen hier in eins zu fallen, die Farben verbünden und zerstreuen sich kaleidoskopisch und die Sichtachsen lassen sich nicht zu einem handhabbaren Blickregime ordnen, sondern richten ein produktives Chaos auf der Retina an. Inmitten dieses optischen Verwirrspiels schälen sich aus abstrakten Konfigurationen vermeintliche Erkennbarkeiten heraus: Könnte sich da im allerfernsten Hintergrund ein mehrteiliges Segel blähen? Und ist das davor die Schnauze eines Tieres? Lassen sich einige klotzig gemalte aufgestellte Rechtecke womöglich als Gebäude interpretieren und könnte die Komposition in mehreren Blautönen am rechten Bildrand einen Theatersaal symbolisieren?
Die Unentscheidbarkeit im Hinblick auf den semantischen Gehalt der komplexen visuellen Konstellationen von Olivia Kaiser – man könnte auch den Begriff der Polysemie ins Spiel bringen, wenn die vom Inhalt/ von den Inhalten infizierten Gedanken auf die unterschiedlichsten Avenuen abbiegen – macht einen erheblichen Teil ihres Reizes aus. Manchmal sind die Arbeiten näher an der klassischen Farbfeld-Malerei eines Rothko et.al. angesiedelt, manchmal wiederum lassen sich anthropomorphe oder zoomorphe Strukturen klarer erkennen. So wie auf dem Bild „A too heavy sweetness proves its own caretaker“, wo ein Tier zu sehen ist, das entweder ein kleiner Elefant sein könnte oder ein Hund mit überlanger Schnauze. Aber wenn nach Nietzsche der Mensch das nicht festgestellte Tier ist, dann kann das Tier auch als der nicht festgestellte Farbfleck erscheinen. Oder dieser begnügt sich damit, er selbst zu sein und sich in seiner referenzlosen Materialität darzustellen.
„Es geht darum, mit welchem Impuls man eine Farbe auf der Oberfläche springen lässt“, sagt die Künstlerin. „Man kann eine Farbe totprügeln und mit dem Pinsel von rechts nach links schmieren – oder man kann sie zum Leben erwecken.“
Die erzählerische Dimension, die einem Gemälde ja auch innewohnen könnte, spielt also bei Olivia Kaiser, so viel sollte mittlerweile klar sein, nur in geringem Maße eine Rolle. Wenn man ihre Stand-Bilder mit Bewegtbild in ein Verhältnis setzen möchte, dann wäre nicht Hollywood die Bezugsgröße, sondern das Cinema of Attraction des frühen 20. Jahrhunderts, bei dem nicht das Narrative im Zentrum stand, sondern der Thrill, das Sensationelle, das ästhetische Wunder, die unmittelbare Reizattacke auf das Auge. „In meinen Bildern gibt es immer irgendeine Art von Bewegung. Mich interessiert alles, was affiziert und unterhält.“ Dieses Unterhaltende steuert jedoch nicht auf die einzelne, leicht fassbare Pointe zu, sondern ergibt sich aus einem in alle Richtungen zerstäubenden Witzfeuerwerk, dessen humoristische Dimension nur in Verzerrungen, Torsionen und Konvulsionen erfahrbar wird – wie in einem Funhouse, in dem Wackelbrücken, drehende Scheiben auf dem Boden, Fließbänder, vibrierende Böden und Zerrspiegel zum Einsatz kommen. Mit der Lust am ironisch grundierten Erkenntnis-Schock hängt auch die Titelgebung der Arbeiten von Olivia Kaiser zusammen. Was auffällt ist, dass die Bezeichnungen oft keinen kommentierenden oder erklärenden Charakter haben, sondern einen eigenen / eigenständigen poetischen Thread begründen. Oft leiten sich die Werknamen von der Lyrik-Lektüre der Künstlerin her; „Playhouse“ beispielsweise verdankt sich der imagistischen Dichtung von William Carlos Williams. „Das ist ein Gedicht, das mir gefallen hat. Und der Untertitel wäre dann: ´All who wear their manner too obviously.`” Der Name des Bildes “Man on Blue Horse Lances Elk Bull, Man on Red Horse Lances Elk Bull” wiederum geht auf die Ledger Art zurück, eine indigene Form der Malerei, die von Native Americans vor allem am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts praktiziert wurde und häufig deren Lebensumstände im Guten wie im Katastrophischen dokumentierte.
Die Kunst von Olivia Kaiser biegt natürlich nicht voraussetzungslos und ohne Vorbilder um die Ecke. Sie ist eine ausgesprochen sehgeübte Malerin und nennt beispielsweise Sean Scully, den Meister eines mit emotionaler und spiritueller Kraft aufgeladenen Post-Minimalismus, und den afro-amerikanischen Künstler Jacob Lawrence, der in seinen Bildern, etwa der Migration Serie, die erzwungenen Wanderungsbewegungen der Schwarzen in den USA zum Thema macht, als inspirierende Kräfte. Derartige visuelle Eindrücke werden aber nicht kopiert, sondern im Wahrnehmungsraum der Künstlerin feinverteilt und schließlich zu Elementen einer eigenen idiosynkratischen Grammatik. Das kann man besonders deutlich am Verhältnis von Olivia Kaiser zur Kunst von Maria Lassnig sehen. Dieser gehe es darum, „die Sichtachsen immer zu verändern, sie wild zu zerstreuen und zu zerwirbeln, dass man die Dinge so und so und so sehen kann, von allen möglichen Seiten und aus allen Perspektiven.“
Solche Irritationen des Blickes manifestieren sich auch in Kaisers Kunst, die sich ansonsten zwischen dem Schmerz und dem Märchen situiert: Der Schmerz als Wahrnehmungsimpuls schreibt sich über das Hören extremer Musik, wie SPK, Throbbing Gristle, DJ Marcelle oder Baile Funk aus Rio unmittelbar in den Produktionsprozess ein: „Meine Malerei ist bitterernst, und sie tut auch weh - das ist das Throbbing Gristle-Drama, sagen wir mal. Und es ist was Existentielles da; es geht immer auch um Schmerz. Im Hintergrund aber hört man eine Melodie, die nicht einfältig ist, die nicht poppig ist, die nicht bunt ist.“ Die ins dialektische Bildprogramm eingearbeitete Gegenvision wäre dann eine von Olivia Kaiser appropriierte Vorstellung vom Märchen. Es gehe allerdings um moderne Märchen zwischen Little Nemo und der Truman Show, die nicht zwangsläufig eine zufriedenstellende Auflösung bieten würden, trotzdem aber ein gewisses eskapistisches Moment ermöglichten: „Eine Flucht, die ich auch brauche, sonst würde ich diese Welt ja nicht aushalten.“ Man müsse kämpfen, man müsse luzider werden: „Man muss sich das, was der Fall ist, zu Bewusstsein bringen und das ist sehr anstrengend.“
Aus all diesen Gründen braucht und nimmt sich die Ästhetik der Ambiguitäten, die Olivia Kaiser entwirft, viel Zeit. Es geht auch um den Weg, der zwar nicht das Ziel ist, aber als Dokumentation einer mitunter erheblichen Zeitstrecke, die absolviert werden muss, um zu einem Ergebnis zu kommen, eine Bedeutung sui generis besitzt. Mit jenen marktgetriebenen künstlerischen Praktiken, die in der Gegenwart immer dominanter werden, kann sie jedenfalls nichts anfangen: „Wir leben heute in einer Projektwelt; ich nenne das immer eine zerstückelte Jetztzeit oder eine zerstückelte Lebenszeit, wo alles sich projektiviert und in Monate auflöst; gestaffelt in Zeiträume und in Ergebnisse. Und das ist nicht meine Malerei, dazu bin ich viel zu prozessorientiert.“